Dr. Itengré Ouédraogo, Gründer und Chefarzt unserer Partnerklinik ARENA in Burkina Faso, wurde dieses Jahr zum Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie eingeladen. Sein Thema war die kritische Auseinandersetzung mit Entwicklungszusammenarbeit aus Sicht eines afrikanischen Fistelchirurgen.
Was konnte in den letzten 20 Jahren bei Bekämpfung von Geburtsfisteln erreicht werden?
Die internationale Gemeinschaft hat aufgrund der „Campain to End Fistula“, die seit über 20 Jahren auf Initiative der UNO aktiv ist, endlich Notiz von der schlechten medizinischen Versorgung von Frauen während Schwangerschaft und Geburt genommen und sich im Kampf gegen Fisteln engagiert. Dadurch konnte in vielen Ländern der Zugang zur operativen Versorgung der betroffenen Frauen verbessert werden. Allerdings ist es nicht geklärt, ob sich dadurch die Zahl der von Geburtsfistel betroffenen Patientinnen vermindert hat. In den letzten Jahren haben sie dokumentiert in Burkina Faso zugenommen, sicherlich auch in anderen Bürgerkriegsländern wie Mali, dem Sudan und im Osten der Demokratischen Republik Kongo sowie in Afghanistan.
Nach dem Vorbild des äthiopischen Hamlin Fistula Hospital, das Fistula e.V. über 18 Jahre unterstützt hat, entstanden in einigen Ländern spezialisierte Fistelzentren (u.a. Uganda, Burkina Faso, Mozambique und dem Niger), in denen eine ganzheitliche Betreuung erfolgt. Unter einer Initiative der FIGO, Weltorganisation für Frauenheilkunde und Geburtshilfe wurden Ausbildungs- und Zertifizierungsprogramme für Fistelchirurgen erstellt, die in vielen Ländern organisiert und leider nicht ausreichend finanziert werden. Ein großer Beitrag der FIGO sind die von erfahrenen Fistelchirurgen erstellten, standardisierten Richtlinien zur Diagnostik, Therapie und pflegerischen Versorgung von Fistelpatientinnen. Ziel ist die Verbesserung der Versorgungsqualität.
Wo gibt es heute Probleme?
Die betroffenen Länder sind bei der Umsetzung der Fistelbekämpfung in hohem Maße auf internationale Hilfe angewiesen. In vielen Ländern fehlen nationale Leitlinien für Maßnahmen zur Behandlung von Fisteln und damit eine nachhaltige Strategie.
Viele Regierungen setzen weiterhin auf „chirurgische Kampagnen“, wo in einzelnen Bezirken Patientinnen gesammelt werden und innerhalb von wenigen Tagen in einer konzertierten Aktion von teils unerfahrenen Chirurgen in sogenannten „Camps“ operiert werden, ohne differenzierte Diagnostik und ohne fachliche Nachbetreuung. Dabei ist die Zahl von Fehlschlägen sehr hoch, es findet weder eine Nachsorge noch eine Rehabilitation oder Reintegration statt. Viele Frauen werden mehrfach operiert, ohne dass jemals über einen Strategiewechsel für die Operation nachgedacht wird – man muss wissen, dass die Erfolgsrate für den Fistelverschluss mit jedem weiteren Eingriff sinkt! Einheimische Operateure werden pro Operation im Verhältnis fürstlich entlohnt, ohne dass eine Erfolgskontrolle stattfindet.
Ein weiteres Problem stellen unerfahrene ausländische Gastchirurgen dar, die oft keine Kenntnis der komplexen anatomischen Veränderungen bei ausgedehnten Fisteln haben. Das sind Befunde, die wir in der westlichen Welt noch nie gesehen haben! Sie kommen oft mit ganzen Teams und umfangreichem Instrumentarium – vor dem Einsatz wird jedoch kein Nachweis über das tatsächliche Wissen in der operativen Versorgung von Fisteln gefordert. Patienten werden mit modernen OP-Techniken (wie z.B. Harnableitungen) operiert, die vor Ort gar nicht nachgesorgt werden können. Dadurch entstehen Komplikationen, die sogar zum Tod der Patientinnen führen können.
Wie soll eine funktionierende Entwicklungszusammenarbeit aussehen?
Dr. Itengré sieht die Notwendigkeit internationaler medizinischer Hilfe weiterhin als wichtig und dringend erforderlich an. Er wünscht sich eine kooperative Zusammenarbeit, die den Bedürfnissen des Landes/Projekts angemessen ist. Dazu gehören hohe ethische Normen, kulturelle Kompetenz und Akzeptanz der Normen des Gastlandes.
Hilfsorganisationen müssen integer und verantwortungsbewusst handeln und auch unter schwierigen Bedingungen die Standards der Pflege und des fachlichen Urteilsvermögens einhalten. Es braucht stärkere, global gültige, rechtliche Rahmenbedingungen, in der eine Fehlerkultur gepflegt wird und Behandlungsfehler rechtliche Konsequenzen haben. Korruption muss ausgeschaltet werden. Wichtig ist auch eine bessere Koordinierung und Weiterbildung in der Pflege, um die Patientensicherheit zu verbessern.
Wir haben uns sehr gefreut, dass Fistula e.V. als herausragendes Beispiel für gute Zusammenarbeit, kulturelle Akzeptanz und Orientierung am Bedarf des Projektes genannt wurde. Gelobt wurde die Einbeziehung des gesamten Teams, denn nur so werden die Projektinhalte in Zukunft von allen umgesetzt.
Sein Fazit: Eine gerechte Ressourcenverteilung muss gewährleistet und die Würde und Rechte der Patienten durch informierte Einwilligung und kulturelle Sensibilität gewahrt werden, um vor Ausbeutung zu schützen. Der langfristige Nutzen für die Gemeinschaft im globalen Süden müssen im Vordergrund stehen, anstelle der Befriedigung kurzfristiger Bedürfnisse von freiwilligen Helfern („Weißer Retter-Komplex“).

